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Artikel i det tyske Tätowier Magazine 03/2006 Märtz

Südwestlich der dänischen Stadt Roskilde befindet sich das Freilichtmuseum
»LEJRE FORSØGSCENTER«. Das Forschungszentrum ist keine leblos-museale
Nachbildung vorgeschichtlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen, hier erwacht die kulturelle Entwicklungsgeschichte der Menschen zum Leben. Mittendrin Erik Reime und Colin Dale, die seit sechs Jahren in einem Zelt auf dem Wikingermarkt Runen und Petroglyphen tätowieren – mit Handinstrumenten!


Text und Fotos: CLAIRE ARTEMYZ • Übersetzung: HEIDE HEIM


Eine Zeitreise in die Vorgeschichte können die Besucher im Lejre Forschungszentrum unternehmen. Das Leben der Menschen von der Steinzeit über die Eisenzeit bis zu den Wikingern wird hier authentisch erlebt, da die Zelte und Hütten bewohnt sind. Ein Mal im Jahr tätowieren die Tattoo-Forscher Erik Reime und Colin Dale in einem der Wikingerzelte.


Jedes Jahr im August beziehen Erik Reime und Colin Dale aus Kopenhagen ein kleines Zelt mit Vorplatz inmitten des Wikingermarktes des »Lejre Forschungszentrums«. Tätowierungen in einem Museum? Ein ungewöhnlicher Ansatz, der jedoch gut in das Konzept des Museums passt. Archäologische Experimente unterstützen die dänischen Wissenschaftler bei ihrer Suche nach Antworten auf Fragen zur Lebensweise ihrer Vorfahren: Zu sehen ist eine bewohnte Ansiedlung aus der Mittelsteinzeit (5400 – 3900 v. Chr.), das Dorfleben der sich erfolgreich gegen die Römer erwehrenden Skandinavier gegen Ende der Eisenzeit (200 v. Chr. – 200 n. Chr.) und natürlich der Wikingermarkt, auf dem die wilden und vor allem raublustigen Vorfahren der Skandinavier ihre Beute, Nahrungsmittel wie auch selbst angefertigtes Kunsthandwerk anboten (circa 950 – 1150 n. Chr.). Genau auf diesem Wikingermarkt befindet sich jedes Jahr im August das Zelt der beiden Tattoo-Historiker Erik Reime und Colin Dale.


Erik Reime konzentriert sich auf das mögliche Motivgut aus der Vorzeit der Skandinavier, während der Kanadier Colin Dale sich auch Anregungen von den Indianern Nordamerikas un der Inuit holt.


Archäologische Tattoo-Funde
Anhaltspunkte dafür, dass bereits die Wikinger tätowiert haben, fand der gebürtige Norweger Erik Reime in einer arabischen Niederschrift, worin die Wikinger als grob, dreckig und am ganzen Körper mit Bildern bedeckt beschrieben sind. Kein Beweis, aber zumindest ein Anhaltspunkt. Zudem standen die Wikinger in Kontakt mit den Skythen aus dem südlichen Sibirien. Dass dieses Reitervolk die Praxis des Tätowierens kannte, weiß man durch den 1947 im Altai-Gebirge gemachten Fund der Ruhestätte eines Anführers, der vor über 2000 Jahren gestorben war. Der Leichnam trug teils gut erhaltene, bildliche Tierdarstellungen und Jagdszenen. Auch fanden dänische Archäologen bei einer anderen Ausgrabung Nadeln, von denen man annimmt, dass sie zum Tätowieren verwendet wurden. Sie lagen zusammen mit weiteren Gegenständen, die alle für den Körper bestimmt waren. Datiert ist dieser Fund auf die Bronzezeit. Gestützt auf dieses Wissen, stellte sich Erik Reime die Frage: Was haben sich die Menschen in vorgeschichtlicher Zeit wohl tätowiert, die Menschen der Steinzeit oder auch die Wikinger? Vielleicht ähnelten die Tätowierungen der auf den ersten Blick naiv anmutenden Symbolsprache der Petroglyphen? Diese bildlichen und grafischen Darstellungen hatten in der Bronzezeit Skandinaviens nicht nur eine religiöse-kulturelle Bedeutung, sondern dienten wahrscheinlich auch als Grenzmarkierung der jeweiligen Stammesgebiete.


    

Durch die Kombination von Runen, geometrischen Mustern und Petroglyphen schaffen Erik Reime und Colin Dale einzigartige Kompositionen, in denen das Bild- und Schriftgut der skandinavischen Vorfahren vereint werden.


Runen und Petroglyphen
Seine Forschungsarbeit startete Erik Reime mit dem Studium der Runen, den ältesten Schriftzeichen der Germanen. Gerade in Skandinavien (die lateinische Schrift gelangte erst im Mittelalter, im Zuge der Christianisierung dorthin) findet man die zwischen dem 2. und 12. Jahrhundert verwendeten Runeninschriften sehr häufig als Grabinschriften oder zum Andenken an Familienangehörige auf Runensteinen. Diese Runenzeichen kombiniert Erik mit dem typischen Tierstil, der auf Schmuckgegenständen und Waffen der Wikinger zu finden ist, wie auch mit den Darstellungen der Petroglyphen. Ineinander verflochten und mit Punkten schattiert reicht die Bandbreite seiner Zeichnungen von ab-strakten bis hin zu figürlichen Motiven, deren Ursprung man sowohl in den germanischen Heldensagen wie auch im Pantheon der germanischen Götter findet.


Vorgeschichtliches Tätowierwerkzeug.

Während der Eisenzeit könnten die Menschen Nadeln zum Tätowieren verwendet haben, davor ist der Gebrauch von Naturwerkstoffen wie Dornen, aber auch geschliffenen Feuersteinen möglich.


Altertümliche Werkzeuge
Neben dem »Was« beschäftigte sich Erik Reime auch mit dem »Wie«. Wie und mit welchen Hilfsmitteln haben sich die Menschen vor über 2000 Jahren die Pigmente dauerhaft in die Haut gebracht? Die Antwort ist offensichtlich: mit der Hand. Das Hilfsmittel ab der Eisenzeit, als die Menschen gelernt hatten, Eisen für Werkzeuge und Waffen zu verwenden, ist naheliegend: Erik kombinierte Eisennadeln je nach gewünschtem Effekt und fertigte daraus Werkzeuge.
Aber was war, als die Menschen die Eisenverhüttung und -bearbeitung noch nicht beherrschten? Eine wichtige Errungenschaft der Steinzeitmenschen war der Umgang mit Feuerstein. Möglicherweise fand er auch als Werkzeug zum Tätowieren Verwendung? Erik hat sich einige Feuersteine passend geschliffen und sie ausprobiert – es klappte!
Daneben ist natürlich auch die Verwendung biologisch gewachsener Gegenstände denkbar, wie beispielsweise Dornen. Diese wie auch das Werkzeug aus Feuerstein verwendet er für die Punkt-Schattierungen.



Mit Nadel und Faden tätowierten die Inuit Grönlands, eine Technik, die zu Demonstrationszwecken Colin Dale an sich selbst ausübt.


Tattoos per Hand, Nadel und Faden
Erik zur Seite steht seit vielen Jahren der Kanadier Colin Dale, der in Eriks Kopenhagener Studio »Kunsten pa Kroppen« (Körperkunst) als Lehrling anfing und sich auf individuelle Handtätowierungen spezialisiert hat. Neben skandinavischen Motiven beschäftigt sich Colin auch mit den Motiven der Inuit und den Ureinwohnern Nordamerikas. Bei meinem Besuch tätowierte Colin gerade einen Fantasievogel auf die Hüfte einer jungen Frau. Der Ursprung des Motivs ist bei den Indianern Nordamerikas zu suchen. Für die angehende Bildhauerin verkörpert der Vogel die stete Mahnung, Konstanz in ihr Leben zu bringen und zu getroffenen Entscheidungen zu stehen.
Auf einem Schaffell vor der Hütte liegend bearbeitete Colin sie mit den Werkzeugen – eine durchaus schmerzhafte Prozedur, welche von einem beseelten Lächeln auf dem Gesicht der Frau begleitet wird. Colin demonstrierte eine Tätowiertechnik, die bei den Inuit Grönlands praktiziert wurde. Die Inuit tätowierten sich mit einer einzigartigen Technik, die man sonst nirgendwo auf der Welt ein zweites Mal beobachten konnte: Sie nehmen Nadel und Faden, tauchen den Faden in Farbe und führten die Nadel unter der Haut durch. Colin tätowierte sich auf diese Art selbst am linken Handgelenk und vervollständigte eine von Erik angefangene Runenreihe. Eine Technik, mit welcher übrigens die Farbe sehr dauerhaft in die Haut gebracht werden kann.


 

Die Fotografin Claire Artemyz interessiert sich bei ihrer künstlerischen Arbeit vor allem für den Makrobereich des Tätowirprozesses. Für ihre Detaliaufnahmen zoomt sie ganz nah heran und erzeugt durch die fehlende Schärfentiefe einen surrealen Effekt.


Jedes Jahr im August findet man die beiden Tattoo-Historiker Erik Reime und Colin Dale zwischen Bärenfellen, Tierschädeln und einer an Bäumen aufgespießten Pferdehaut mitsamt Kopf und Hufen, inmitten strohgedeckter Hütten ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Gerade so, als wäre es nie anders gewesen – eine Tattooreise in die Vergangenheit.


LEJRE VERSUCHSZENTRUM
Slangenalleen 2
DK - 4320 Lejre


KUNSTEN PA KROPPEN
Erik Reime, Colin Dale
Radhusstraede 15
DK - 1466 Kopenhagen
http://www.tattoo.dk

TERMIN 2006
Erik Reime und Colin Dale werden auch in diesem Jahr (2006) wieder in Lejre sein und zwar vom 29. Juli bis 6. August 2006.

 

LINK til det tyske blad hvor artiklen oprindeligt blev udgivet i marts nummeret 2006

 

 

 

 


Kontakt Erik Reime: erik@reime.dk